Das Börne-Projekt


LUDWIG BÖRNE UND JEANETTE WOHL KORRESPONDENZ
1818-1824

     

    Börne-Projekt im Archiv BJ
     

    Seit Mai 2008 wird im Archiv Bibliographia Judaica e. V. der erste Band der Edition des Projekts Korrespondenz Ludwig Börne – Jeanette Wohl vorbereitet. Gefördert wird es durch das Dezernat für Kultur und Wissenschaft der Stadt Frankfurt und die Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main. Mit einem Zuschuß für das Jahr 2008 hat der gemeinnützige Förder- und Alumniverein der Geschichtswissenschaften an der J. W. Goethe-Universität historiae faveo auch einen Beitrag für die Durchführung notwendiger Recherche-Arbeiten geleistet. Unter der Projektleitung von Prof. Dr. Lothar Gall (Historisches Seminar der Johann Wolfgang Goethe-Universität) sowie den Herausgebern Frau Dr. Renate Heuer und Prof. Dr. Andreas Schulz arbeiten Rashmi Arora, Jürgen Eglinsky und Claudia Hahn an der Transkription der Briefe und der Erstellung eines Kommentar-Apparates.



    Zur Edition

     

    Erstmals wird der gesamte Briefwechsel zwischen Jeanette Wohl und Ludwig Börne aus dem Börne-Nachlaß der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg ediert. Den Brieftexten wird ein ausführlicher Einleitungsapparat und ein detaillierter Stellenkommentar, die den allgemeinen historischen und den Frankfurter Kontext sowie die spezifisch jüdischen Aspekte erläutern, beigegeben. Die Herausgeber haben sich für eine vorlagengetreue Wiedergabe der Originale entschieden, um die Historizität der Texte und die Spracheigentümlickeiten der Briefautoren, insbesondere der bisher weitgehend unbekannten Jeanette Wohl, erfahrbar zu machen. Folgende Briefauszüge können einen ersten Eindruck vermitteln:



    Judengasse in Frankfurt a. M.



    Wie bedaure ich jeden, der in Frankfurt leben muß
     

    Liebe Freundin! [...]

       Ich habe endlich Logis gefunden. Zwei Zimmer, sehr schön, mit der Aussicht ins Freie, kosten monatlich nur 10 fl. In Frankfurt zahlte ich 15. Es ist aber freilich sehr natürlich, daß in der Stadt wo Sie wohnen alles theuer ist. Das Abonnement des Mittagstischs mit Wein, im besten Wirthshause, kostet 42 kr. (In Frankfurt 1 fl.). Ich werde also hier ein reicher Mann werden. Ich komme mir vor wie ein englischer Prinz, der auf Reisen geht, um zu sparen. [...] – Wie bedaure ich jeden der in Frankfurt leben muß, und noch mehr den, der sich dort gefällt. Hier lacht mich alles an, und wenn Sie gar erst bei mir wären! Ach daß Sie kämen, daß es möglich wäre! Der Mensch vermag ja so vieles, wenn er nur will.

       Meine Briefe liegen noch in den Windeln, sie werden aber schon wachsen. – Die andre Woche gehen zwei meiner Bekannten, auf die Frankfurter Messe, in ihrem eigenen Wagen, ich könnte mit ihnen hin und zurückreisen, ohne daß es mich einen Kreuzer kostet, darf ich? Ich könnte diese Seite noch vollmachen, aber mein Herz würde darum nicht leerer werden. Darum schließe ich wie gewöhnlich

    Ew Wohl=gebohren geb. Wohl Dr. Börne

    (Stuttgart, 25. August. 1821)



    Meine und ganz Deutschlands Wünsche vereinigen sich
     

       Mein lieber Freund!

       Sie werden schon jezt hinlänglich eingesehen haben, daß wenn ich meine Briefe auch nicht mit guten Gedanken ziere, ich sie dafür mit den reichsten ortographischen Fehlern ausstatte, es hat damit ein ganz sonderbares Bewandtniß. Wenn ich übersehe was ich geschrieben, so bemerke ich selten einen Fehler, kaum ist der Brief weggeschikt, und ich überdenke was er enthält, so präsentiren sich in meinem Gedächtniße nach der Reihe eine ganze Menge neckischer Unrichtigkeiten, und ich bin beschämt und geplagt. So gieng mir die Sylbe Rath wie ein Rad im Kopfe herum, und hat mir vielleicht ein paar Stundenlang so viel Sorge gemacht, als einem ehrgeizigen Menschen der sich um den Titel bestrebt, – Eitelkeit, oder Ehrgeiz [...] und Kinderpossen "O närrische Leute, O komische Welt!" mir geht es mit den Schreibfehlern wie Manchen Leuten mit dem Stottern, es sind eben Fehler – die Man schwehrlich je verlernt. [...]

          Nein Sie sollen nicht kommen! und wenn der König Sie in seinem Staatswagen wollte herbringen laßen, Sie dürfen und sollen nicht kommen! wollen Sie mir denn durchaus nichts als Kummer, und Herzeleid machen, Sie ungerathner? – ? – – Schriftsteller!! Hier ist es gar zu todt und einförmig, und da werden Sie dann mit in die Langeweile hineingeschleppt. Gedulden Sie sich doch nur, es kann ja in keinem Falle lange währen, daß Sie mit Cotta über Ihre Angelegenheiten sprechen können, wegen Ffurter Theaternachrichten, könnten Sie sich doch wohl an einen Bekannten wenden [...].

    Und nun von mir und unsern Freunden viele Glückwünsche zu Ihrer häuslichen Niederlassung. Die Kuchen und sonstige schöne Haussteuergeschenke sollen schon nachkommen. Bleiben Sie nur bei Ihren guten Vorsätzen, sparen Sie nur so viel Sie können, und denken Sie nur immer dabei Sie wären, wenn auch kein – englischer Prinz, aber doch ein Prinz, so eine poetische Idee ist immer gut, und sättigt manchmal statt aller wirklicher Kost, wenn nun am Ende noch gar ein ordentlicher Mensch übrig bleibt, so ist das schon Gewinnstes genug, und mehr als sich vielleicht Mancher wirkliche Prinz zuschreiben darf.

       Darf ich nun hoffen daß Ew: Durchlaucht huldvoll die Gnade haben werden, mir – baldigst – von einigen litterarischen Arbeiten Kunde werden zu lassen, meine, und ganz Deutschlands Wünsche vereinigen sich, dieses Geschenk nach so – – langer Entbehrung in tiefster Unterwürfigkeit von Ew: Durchlaucht zu erbitten.

       Und nun mein fürstlicher Freund, bedenken Sie daß unsre Briefe Zwillinge sind, und daß so lange der eine noch in den Windeln liegt, der Andre auch nicht auf die Beine kömmt, zu Beider Wachsthum ist also erforderlich, gute Nachrichten von Ihrem Wohlergehen und – Ihrem Fleiße. Leben Sie recht wohl, und so vergnügt wie es von ganzem Herzen wünscht                                                                                                                       J. Wohl.

    (Frankfurt, 27. August 1821)




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